Spiel, Rausch und Genesung 

Lebensbericht von Ralf

Mein Name ist Ralf, ich bin Spieler und Alkoholiker. So stelle ich mich in meiner Selbsthilfe-Gruppe vor, die ich seit über 25 Jahren regelmäßig besuche, wenn ich einen Redebeitrag zum Meeting gebe. Nicht, weil die anderen nicht wüssten, wie ich heiße, sondern weil mich diese Art der Vorstellung immer daran erinnert, warum und wozu ich in der Gruppe bin, und dass meine Krankheit Spielsucht, genauso wie mein Alkoholismus, nicht geheilt, sondern nur zum Stillstand gebracht werden können. 

Mein Leben ist mir, wie das vieler tausend anderer Betroffener auch, durch das Ausleben meiner Abhängigkeiten völlig entglitten. Fremdgesteuert durch den Alkohol und das Glücksspiel bin ich zur versklavten Marionette meiner Suchterkrankungen geworden. Siebzehn lange Jahre habe ich mich im Dunstbereich der Sucht und all seiner mit sich führenden Begleiterscheinungen bewegt, immer in dem Glauben, dass ich es schon alleine schaffen werde aus meinen Schwierigkeiten herauszukommen. Doch dem war nicht so. Ich musste meinen mit Dornen und persönlichem Leid übersäten Weg bis zum absoluten Nullpunkt, bis zum Zusammenbruch gehen. Bis zu dem Punkt, an dem ich mich nur noch zwischen einem Leben ohne Alkohol und ohne Spielen, oder dem Tod im Alkohol und im Spielen entscheiden konnte. Ich bin dankbar, dass ich noch die Kraft erhalten habe, mich für das Leben entscheiden zu können.

Ich bin fest davon überzeugt, dass ich diesen persönlichen Tiefpunkt erreichen musste, um endlich zu erkennen, dass in meinem Leben einiges im Argen lag und nicht stimmte, und dass nicht nur das ständige Verlangen nach dem nächsten Spiel, nach dem nächsten Schluck, mein Leben entgleisen lies, sondern dass ich auch, und dies im Besonderen, auf emotionaler und geistig-seelischer Ebene dabei krank geworden bin.

In dieser Verfassung, nach stundenlangem Spielen und im Zustand völliger Trunkenheit, begegnete mir an einem kalten Märztag 1993 auf abenteuerliche Weise, die es schon alleine Wert wäre, ein Buch über das Zustandekommen dieser Begegnung zu schreiben, Jörg, ein junger Mitarbeiter der Heilsarmee, der sich selbstlos meines kaputten Lebens annahm. Er eröffnete mir durch seine bedingungslose Hilfe, einen Weg, auf dem ich in kleinen Schritten, jedoch von anfänglichen Schwierigkeiten begleitet, langsam beginnen durfte heil zu werden. Trotz all seiner Hilfe, brachte mich, nachdem ich schon über ein halbes Jahr spielfrei und abstinent war, ein Absturz in den Alkohol noch einmal völlig aus der Bahn und ich erlebte bis Anfang Oktober 1994 noch einige Spiel- und Trink-Rückfälle. Den Letzten am 01.10.1994. An diesem Tag bin ich dann endgültig zusammengebrochen. Ich hatte meinen persönlichen Tiefpunkt nun endlich erreicht. Ich war am Nullpunkt meines Siechtums und kümmerlichen Daseins angekommen. Ich habe an diesem Tag endgültig vor dem Spielen, vor dem Alkohol und am Ende auch vor mir selbst kapituliert, obwohl ich an dem Tag noch gar nicht erfassen konnte, was durch diese Kapitulation auf ganzer Ebene, wirklich in mir, und in der Folge mit mir passierte. Jetzt war ich bereit für meinen langen Weg der Genesung. 

Durch die Begegnung mit Jörg, konnte ich endlich wieder neuen Lebensmut fassen und bin durch ihn motiviert auch wieder in die Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige gekommen, die ich Jahre zuvor schon einmal regelmäßig besuchte.

So lernte ich dann 1995 die Anonymen Spieler kennen, denen wir uns als Gruppe 1996 angeschlossen haben. Das spirituelle 12-Schritte-Programm schien nur auf mich gewartet zu haben. Die wöchentlichen Treffen boten mir die einmalige Möglichkeit, mich in dem beschützenden Rahmen der Gruppe, in der ich vor allem so angenommen wurde wie ich war, in meinem Selbstbetrug endlich zu erkennen und in kleinen Schritten zu verändern. Ich war nun, nach all den langen Jahren der Hoffnungslosigkeit und des Verzweifelns, an dem Ort angekommen, an dem ich mich nicht mehr erklären musste; an dem ich verstanden, und nicht verurteilt wurde; an dem ich spürbar erleben konnte, wie ich durch das gemeinsame Teilen von Erfahrung, Kraft und Hoffnung mit Gleichbetroffenen, auf einmal dazu in der Lage war, mein bisher unkontrollierbar gewordenes Spielen und Trinken zum Stillstand zu bringen, wo zuvor alle, aber auch wirklich alle nur denkbaren Versuche kläglich gescheitert waren. 

Heute bin ich seit beinahe 30 Jahren spielfrei und trocken vom Alkohol.

In den Meetings der Anonymen Spieler, sagt man sich gegenseitig zum Schluss eines jeden Treffens die Worte zu: »Komm wieder, es funktioniert!«

Bei mir, und vielen anderen, hat sich dies wahrhaftig bewahrheitet. - Es funktioniert. 

 

Gute 24 Stunden,

Ralf