Siebter Schritt

Demütig baten wir ihn, unsere Mängel von uns zu nehmen."

Demütig baten wir ihn, ...

 

Der Begriff Demut begegnet uns im 12-Schritte-Programm wörtlich zum ersten Mal im 7. Schritt. Doch die Demut begleitet uns, wenn es vielen vielleicht auch nicht real bewusst ist, schon durch alle anderen Schritte. Denn ohne ein gewisses Maß an Demut, wären wir auf unserem bisherigen Genesungsweg nicht vorwärtsgekommen.

Der Weg der Demut beginnt also schon bei unserer Kapitulation im 1. Schritt, wenn wir von unserem hohen Ross der Eitelkeiten und des Stolzes absteigen und zugeben müssen, dass die Spielsucht uns besiegt hat. Und, dass wir alleine aus all unseren Schwierigkeiten nicht mehr herauskommen. Wir gaben zu, dass unser Leben für uns nicht mehr zu meistern war.

Nur mit ehrlicher Demut können wir an die Aufgaben herangehen, die nun vor uns liegen. Schon hier, am Anfang des Ersten Schrittes, beginnen wir somit gewisse negative Eigenschaften abzulegen. Wir versuchen unserem Leben eine neue Orientierung, eine neue Ausrichtung zu geben, weil uns klar geworden war, dass wir so nicht mehr weiterleben konnten, und auch nicht mehr wollten. Zwangsläufig rücken wir dadurch unser durch die Sucht manipuliertes Selbst in die richtigen Proportionen, heraus aus dem Zentrum, wo sich alles krankhaft nur noch um unser Ich drehte. Demütig bitten bedeutet, uns in unserer wirklichen Größe zu erkennen, wahrzunehmen und einzuordnen. 

Da wir auf unserem Weg durch die vergangenen sechs Schritte den Gott unseres Verstehens und Vertrauens bereits in unser Leben hineingelassen haben, wird uns bei Umsetzung des 7. Schrittes dessen Allmacht und Größe erneut richtig bewusst. Dann, wenn wir zum Glauben gekommen sind und uns im 3. Schritt ganz bewusst seiner Fürsorge unterstellt haben. Beim 7. Schritt sind wir nun in einer für unser Leben entscheidenden Tiefe im 12-Schritte-Programm angekommen. 

Der Weg durch die 12 Schritte ist bei weitem kein einfacher Weg. Er verlangt von jedem Einzelnen einiges an Mühe, ehrlicher Annahme, aufrichtiger Bereitschaft und Demut ab. Und er ist durch den ständigen Erneuerungsprozess und dem Aufgeben gewisser liebgewordener Lebensgewohnheiten oft auch sehr schmerz- und leidvoll. Bildlich betrachtet beginnt das alte Ich langsam zu sterben, damit das neue Leben entstehen und wachsen kann, geht jeder Auferstehung auch eine Kreuzigung voraus.

Wir alle haben in unserem Leben, im ganz normalen Alltag, in Glaubensgemeinschaften oder unserem Freundeskreis, bestimmt schon viele demütige Menschen kennengelernt; und als suchtkranke Spieler auch in den 12-Schritte-Gruppen, nachdem langsam unser Verstand begonnen hatte wirklich spielfrei und nüchtern zu werden, um diese Menschen zu erkennen.

Demütige Menschen strahlen meist eine ganz besondere, tiefdurchdringende und inspirierende Art der Gelassenheit auf uns aus. Gerade auf uns, die wir trotz allem Fortschritt in unserer Genesung doch noch viel zu oft auf unserem hohen Ross der Eitelkeiten unterwegs sind.

Wahre Demut beinhaltet jedoch nicht nur Gelassenheit, sondern auch Sanftmut, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Aufmerksamkeit, Bereitschaft, Weitsicht, Nächstenliebe, Selbstdisziplin, Selbstachtung, Achtung vor dem Mitmenschen, und ein tiefer Glaube an den Schöpfer allen Seins, wie Diesen auch jede/r für sich versteht.

 

..., unsere Mängel von uns zu nehmen.

 

Nicht erst im 7. Schritt, aber in diesem doch besonders, beginnen wir bewusster unser Verhalten im täglichen Umgang mit unseren Mitmenschen, aber auch mit uns selbst, zu beobachten. Ziel dieser Aufmerksamkeit auf uns selbst und unser Verhalten, ist es, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, um einen Charakterwandel einleiten zu können.

Mit Sicherheit werden wir dabei auch zwangsweise die Bereitschaft aufbringen müssen, Veränderungen einzuleiten, die uns anfangs keinen allzu großen Spaß machen, die alles andere als Freude und Lust bereiten, weil Veränderung ein harter Arbeitsprozess ist. Der 7. Schritt setzt jedoch voraus, dass wir den Mut, die Energie und Bereitschaft aufbringen, charakterlich auch das an uns zu verändern, was uns bisher nicht wenige Male in Schwierigkeiten gebracht hatte, wie wir bei unserer Inventur im 4. Schritt feststellen mussten.

Denn eines zeigen nicht nur die Erfahrungswerte aller Schrittegemeinschaften, sondern auch das Leben allgemein und deutlich auf: „Der Gott, dem wir unser Leben im 3. Schritt anvertraut haben, verteilt keine Geschenke der Bequemlichkeit an uns, damit wir schlafend zu einem charakterlich neuen und besseren Menschen heranwachsen. Auch kein Götter-Bote ‚Hermes' schickt uns unser Neues Leben per Paket-Express-Zustellung sorgen- und barrierefrei ins Haus.“

Nein, nur was wir wirklich nicht im Stande sind an uns zu verändern, das wird dieser Gott, diese höhere Macht, diese Kraft größer als wir selbst, für uns in Liebe tun. Und genau hier, an diesem Punkt in unserem Leben, auf unserem Genesungsweg durch die Schritte, beginnt unsere Aufrichtigkeit, Bereitschaft und Demut im Geiste des 7. Schrittes diesen Gott darum zu bitten, unsere Mängel von uns zu nehmen, weil wir selbst nicht dazu in der Lage sind.   

– Im ursprünglichen Manuskript zum „Big-Book“ der amerikanischen Anonymen Alkoholiker von 1938, stand in der Urfassung der 12 Schritte, deren Konzept der Mitbegründer der Anonymen Alkoholiker Bill W. nach einem Gebet, in dem er um Gottes Führung bat, und die er dann in einer Nacht niedergeschrieben hat, im 7. Schritt noch: „Demütig, auf unseren Knien, baten wir ihn, unsere Mängel von uns zu nehmen - rückhaltlos.“

© Ursprungtext 7. Schritt, Blaues Buch der AA von 1938, S. 68

Wenn wir uns also wirklich dazu entschlossen haben, den Weg der 12 Schritte zu gehen, um unsere Sucht endgültig zum Stillstand zu bringen, werden wir spätestens an dieser Stelle klar erkennen, dass der 7. Schritt für uns und unser Leben eine sehr ernste und spirituell tiefgehende Angelegenheit ist, bei der wir uns erneut ganz bewusst unter die Führung unseres Gottes und seinen Heilungsprozess stellen. In Demut.

Durch den Glauben an eine Macht, größer als wir selbst, können und werden wir schrittweise eine Wandlung in unserem Leben durchlaufen und von (selbst)zerstörerischen Verhaltensweisen und negativen Charaktereigenschaften befreit werden, die uns auf unserem Weg durch die Sucht sonst mit Sicherheit zu Grunde gerichtet und zerstört hätten.

Dann werden wir auch an uns selbst erkennen und erleben können, dass der Glaube – Schritt um Schritt – wirklich und wahrhaftig Berge versetzen kann, und dies nicht nur eine biblische Redewendung aus einer alten, längst vergessenen Zeit darstellt.

Mit dem 7. Schritt vollziehen wir nun endgültig eine Umkehr. Unsere alte Lebenshaltung erstirbt durch den Einfluss der gewachsenen Demut in uns zwangsläufig. Langsam und stetig erfolgt eine Umkehr von unserem alten, selbstsüchtigen Leben, das uns und unserem Umfeld nichts als Schmerz, Leid, Angst, Hoffnungslosigkeit und bittere Not zugefügt und hinterlassen hat, hinein in ein neues, sinnvolles und suchtbefreites Leben.

 

Anmerkung Ralf: Dieser Text beruht auf den persönlichen Erfahrungen meines Weges durch die Schritte in der Gemeinschaft der Anonymen Gruppen und dem Veränderungsprozess bei all den vielen Menschen, denen ich auf diesem Weg  begegnen durfte.