Zweiter Schritt
„Wir kamen zu zu dem Glauben, dass eine Macht, größer als wir selbst, uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann.“
Im ersten Schritt mussten wir uns unsere Machtlosigkeit dem Spielen gegenüber und unser persönliches Scheitern eingestehen. Vorbehaltlos. Eine für uns unumgängliche Voraussetzung, um den Einstieg in ein neues, spielfreies Leben überhaupt beginnen zu können.
Wir wissen nicht, wie es jetzt weitergehen soll. Wir wissen jetzt nur mit Bestimmtheit, dass wir nicht wie andere Menschen spielen können. Warum auch immer. Die Frage nach dem Warum bringt uns am Anfang nicht weiter. Und oftmals auch später nicht.
Und wir erkennen langsam, dass wir es ohne die Hilfe anderer Menschen nicht schaffen werden, unsere Spielsucht dauerhaft zum Stillstand zu bringen. Da bleibt nur ein Weg: Wir müssen (wieder) langsam lernen zu vertrauen.
Vertrauen (wieder) lernen
Ein Suchtkranker hat im Laufe seiner Spielerkarriere viel Vertrauen bei anderen verspielt, missbraucht, regelrecht mit Füßen getreten. In der Familie, bei Freunden, Arbeitskollegen. Im Verlaufe unserer Sucht, werden wir als Spieler immer einsamer. Die Menschen in unseren engsten Beziehungen wenden sich irgendwann ganz gezielt von uns ab. Meist oft erst am Ende ihrer eigenen Kräfte und Ressourcen angekommen, um sich selber zu schützen, um nicht ganz mit dem Spieler unterzugehen.
Doch auch hinter jedem Suchtkranken steckt eine ganz persönliche, individuelle Geschichte. Suchtkranke Spieler werden die meisten nicht einfach so aus einer Laune des Schicksals, oder der zufälligen Teilnahme an einem Glücksspiel heraus. Süchtig sein, heißt auch fast immer auf der Flucht zu sein. Auf der Flucht vor den eigenen, anhaltenden, schmerzverursachenden Lebenserfahrungen. Süchtig sein bedeutet auf der unendlichen Suche zu sein – und doch nie anzukommen: Nach Ruhe, nach Ausblendung, nach Betäubung, nach dem sich nicht spüren wollen, spüren müssen, spüren können. Süchtig sein bedeutet: niemandem mehr vertrauen wollen, vertrauen können, vertrauen dürfen.
So kommen die meisten von uns in den Gruppen an: Hilflos, kraftlos, abgekämpft, am Boden liegend! Die Hand ausgestreckt in der Hoffnung, dass irgendjemand, irgendetwas sie ergreift und uns aus unserem Elend herauszieht.
Es funktioniert – für Jeden!
Warum funktioniert es bei den Anonymen Spielern? Warum schaffen wir es, oftmals auch vom ersten Meeting an, bei den Anonymen Spielern spielfrei zu werden? Die Sucht dauerhaft zum Stillstand zu bringen?
Die Antwort: Die Anonymen Spieler praktizieren die Gruppenarbeit. Darum funktioniert es, um es einmal einfach ausgedrückt auf den Punkt zu bringen. Wir sind Praktiker in der Suchtselbsthilfe, keine Theoretiker. Wir müssen uns nichts an-lernen, nichts an-lesen, nichts an-studieren. Wir sprechen über, und vor allem durch unsere Erfahrungen.
Eine Erfahrung davon ist der bewusste Übergang vom ersten in den zweiten Schritt. Wie schon erwähnt: Die Hand ausgestreckt, am Boden liegend. Das ist unser Ausgangs-, unser Startpunkt. Wenn wir anfänglich Schwierigkeiten haben, aus welchem Hintergrundrauschen heraus auch immer, anderen Menschen wieder zu vertrauen, dann ist es gut, und wohl auch überlebenswichtig, zuerst einer Höheren Kraft, einer Macht, größer als unser Selbst, zu vertrauen. Einer Macht, die nicht von menschlichen Schwächen, Bedürfnissen, Hintergedanken, Trieben, Eitelkeiten und persönlichen Hindernissen beeinflusst und bestimmt wird. Eine höhere Macht, die seit Anbeginn der Zeit von den Menschen gesucht wird. Eine Macht, die bereits Tausenden, nein, Millionen und Abermillionen von suchtkranken Menschen auf ihrer Reise der Genesung, auf ihrer Reise in ein neues Leben begegnet ist. Eine höhere Macht, der wir bedingungslos vertrauen dürfen und können. Ohne jegliche Vorbehalte.
Der Rucksack – die Last unseres Lebens
Viele von uns dachten anfangs, am besten wir machen einfach ein großen Bogen um die geistigen Schritte im GA-Programm. Meist haben derlei Reaktionen ihre guten Berechtigungen, deren Wurzelbildung in unserer Vergangenheit liegen. In religiöser Erziehung. In gepredigter Wahrheit und gelebter Lüge. In gepriesenem Wasser und gesoffenem Wein, usw., usf..
Doch wir in den Gruppen brauchen uns gegenseitig keine Märchen mehr zu erzählen. Wir wissen, dass wir mit dem Arsch an der Wand standen, oder nach wie vor noch stehen. Am Rande des Abgrundes, mit dem Blick in eine dunkle, unergründbare und todbringende Tiefe.
Dieser unergründlichen und schwarzen Tiefe können wir nur entrinnen, wenn unser Herz sich wieder für Vertrauen öffnet. Anfangs in eine höhere, uns liebende und fürsorgliche Macht, und dann auch wieder den Menschen. Dann, wenn wir lernen zu erkennen, dass nicht alle Menschen etwas Böses mit uns vorhaben, oder nur Schlechtes im Schilde führen.
So begegnen wir uns in den Gruppen. Jeder gezeichnet von seiner eigenen Geschichte. Jeder unterwegs mit seinem eigenen, prall gefüllten Rucksack.
Durch die persönliche Suche und Beziehung zu unserer höheren Macht, durch die Gruppenarbeit, durch die Freundschaften mit Gleichbetroffen, mit Leidensgefährten, Weggefährten, helfen wir uns gegenseitig, den mitgeschleppten Ballast unseres Lebens, Stück für Stück, Erfahrung um Erfahrung, aus unserem Rucksack zu betrachten, zu entfernen, am Wegesrand einfach stehen zu lassen und fortan mit immer leichter werdendem Gepäck auf unserer Reise in ein neues, spielfreies, suchtfreies Leben unterwegs zu sein.
Die höhere Macht – größer, als wir selbst
Um zum Glauben an eine höhere Macht, an meine höhere Macht zu kommen, bedarf es keiner großen Lebensanstrengung, bedarf es keiner großen Vorbereitung, keines besonderen, großen, oder gar frommen Gebetes. Es bedarf nur eines ehrlich gesprochenen Satzes, einer ehrlich gesprochenen Bitte, dass diese Macht auch in mein Leben kommen soll, und darf. Es bedarf der Öffnung der Türe in unser Herz. Nicht mehr, und auch nicht weniger.
Doch dann ist sie da. Dann ist sie in unserem Leben, die höhere Macht. Und dann können Wunder geschehen, mit mir als Person und in meinem Leben. Wunder, die wir sonst immer nur aus den Erzählungen, Büchern und Filmen anderer hören, lesen und sehen, aber nicht glauben wollen, und wohl auch nicht können. Weil wir uns nie wirklich selbst darum bemüht haben, es einfach einmal aufrichtig und ehrlich zu versuchen, mit dem Glauben an eine, an unsere persönliche höhere Macht.
Was kann uns denn schon passieren? Was denn? Außer dem eventuellen Verlust unserer persönlichen Eitelkeit, unseres Stolzes, unseres uns krankmachenden Egoismus, der uns bisher doch nur, aber wirklich nur geschadet, aber niemals weitergeholfen hat. Der uns mit in die Sucht getrieben und um ein Haar fast zerstört hätte. Sonst wären wir niemals da gelandet, wo wir uns befanden, als wir das erste Mal durch die Türe in ein Meeting der Anonymen Spieler gegangen sind.
Also, was denn? Nichts. Es gibt nichts, was uns passieren könnte. Gar nichts.
Wir können in diesem Fall ausnahmsweise einmal nur gewinnen. Denn dieses Mal wird es wohl auch endlich der Jack-Pot sein, den viele von uns so lange gejagt haben, denn unser krankes Ego – der wirkliche Feind in uns – wird endlich gesunder Demut weichen müssen.
Annahme, Bereitschaft, Demut. Auf diesen drei Säulen wird unsere zukünftige Nüchternheit stehen. Und Nüchternheit ist etwas anderes als nur Spielfreiheit. Es geht nur mit allen dreien, denn ein-, oder zweibeinige Hocker, können weder selbstständig, noch sicher stehen bleiben.