Zweiter Schritt 

„Wir kamen zu zu dem Glauben, dass eine Macht, größer als wir selbst, uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann.“

Im ersten Schritt mussten wir uns unsere Machtlosigkeit dem Spielen gegenüber und unser persönliches Scheitern eingestehen. Vorbehaltlos. Eine für uns unumgängliche Voraussetzung, um den Einstieg in ein neues, spielfreies Leben überhaupt beginnen zu können.

Wir wissen nicht, wie es jetzt weitergehen soll. Wir wissen jetzt nur mit Bestimmtheit, dass wir nicht wie andere Menschen spielen können. Warum auch immer. Die Frage nach dem Warum bringt uns am Anfang nicht weiter. Und oftmals auch später nicht.

Wenn wir uns anfänglich auf unseren Weg der Genesung begeben, kann es durchaus sein, dass wir dazu neigen, um die geistigen Schritte im Programm doch eher einen Bogen zu machen. Sehr oft auch dann, wenn wir sowieso keinen richtigen Bezug zum Glauben haben, oder er uns irgendwann verloren gegangen ist.

Doch gerade dann macht es Sinn, die Aussage des 2. Schrittes ehrlich zu hinterfragen: „Wie sieht es bei uns denn wirklich aus, mit unserer geistigen Gesundheit? Was für einen emotionalen, geistig-seelischen Schaden hat das jahrelange und krankhaft gewordene Spielen bei uns hinterlassen?“

Unser zwanghaftes Verlangen nach dem Glücksspiel hat eine von uns nicht mehr kontrollierbare Macht über uns bekommen. Auch diese Macht war größer als wir selbst. Das brauchen wir nicht nur zu glauben, sondern das wissen wir, weil wir das schmerzhaft erlebt haben. Deshalb mussten wir vorbehaltlos kapitulieren, uns unsere Machlosigkeit eingestehen. Jetzt sagt uns also der 2. Schritt, auf Grundlage tausendfach erlebter Erfahrungen, das Vorhandensein einer Macht zu, die größer sein muss, deutlich größer, als die Macht die das Spielen über uns gewonnen hat. Diese Erfahrungswerte können für uns zum Türöffner werden, zum Türöffner für Vertrauen. Vertrauen in die Erfahrungsberichte von anderen süchtigen Spielern, die ihre Spielsucht mit Hilfe einer höheren Macht zum Stillstand gebracht haben.

Dann stellt sich oft nicht mehr die die Frage: „Brauche ich zum trocken und geistig nüchtern werden eine höhere Macht?“, sondern: „Kann ich denn ohne diese höhere Macht wirklich geistig gesund werden? Ist ohne den Glauben an eine höhere Macht ein spirituelles Erwachen, wie es der 12. Schritt umschreibt, überhaupt möglich?“

Geistige Gesundheit spiegelt sich in einem stabilen psychischen und emotionalen Zustand wider. Wer geistig gesund ist, der kann auch schwierigen Spannungs- und Belastungssituationen im Alltag begegnen, ohne gleich die Balance und Kontrolle über sich und sein Leben zu verlieren. Die Fähigkeit, Körper, Seele und Geist in Einklang zu halten, setzt geistige Gesundheit voraus.

Wie stehen wir also wirklich da, wenn wir nach unserer Kapitulation im 2. Schritt ankommen? Geistig gesund, oder eher hilflos durch Wind und Wellen getrieben, wie ein Stück Treibholz? Diese Fragen sollten wir uns stellen beim 2. Schritt und eine ehrliche Antwort darauf finden.

Glaube setzt deshalb auch immer Vertrauen voraus. Ohne Vertrauen geht es nicht. Bei Gott nicht, und auch bei den Menschen nicht, die uns anhand ihres Weges eine Lösung für unser Suchtproblem, und für unser zukünftiges Leben aufzeigen.

Und so erkennen wir langsam, dass wir es ohne die Hilfe anderer Menschen nicht schaffen werden, unsere Spielsucht dauerhaft zum Stillstand zu bringen. Da bleibt für uns nur ein Weg: Wir müssen (wieder) langsam lernen zu vertrauen.

 

Vertrauen (wieder) lernen

 

Ein Suchtkranker hat im Laufe seiner Spielerkarriere viel Vertrauen bei anderen verspielt, missbraucht, regelrecht mit Füßen getreten. In der Familie, bei Freunden, Arbeitskollegen. Im Verlaufe unserer Sucht, werden wir als Spieler immer einsamer. Die Menschen in unseren engsten Beziehungen wenden sich irgendwann ganz gezielt von uns ab. Meist oft erst am Ende ihrer eigenen Kräfte und Ressourcen angekommen, um sich selber zu schützen, um nicht ganz mit dem Spieler unterzugehen.

Doch auch hinter jedem Suchtkranken steckt eine ganz persönliche, individuelle Geschichte. Suchtkranke Spieler werden die meisten nicht einfach so aus einer Laune des Schicksals, oder der zufälligen Teilnahme an einem Glücksspiel, heraus. Süchtig sein heißt auch fast immer auf der Flucht zu sein. Auf der Flucht vor den eigenen, anhaltenden, schmerzverursachenden Lebenserfahrungen. Süchtig sein bedeutet auf der unendlichen Suche zu sein – und doch nie wirklich anzukommen. Auf der Suche nach Ruhe, nach Liebe. Sucht ist immer auch ein stiller Schrei nach Liebe, nach Anerkennung. Wenn wir sie nicht erhalten und finden können, suchen wir die Ausblendung, die Betäubung in der Sucht. Dann sehnen wir uns nach dem sich nicht spüren wollen, nicht spüren müssen; nach dem nicht mehr spüren dürfen und können. Süchtig sein bedeutet: niemandem mehr vertrauen wollen, vertrauen können, vertrauen dürfen.   

So kommen wohl die meisten von uns irgendwann in den Gruppen an: Hilflos, kraftlos, abgekämpft, am Boden liegend! Die Hand ausgestreckt in der Hoffnung, dass irgendjemand, irgendetwas sie doch noch ergreift und uns aus unserem Elend herauszieht.

 

Es funktioniert – für Jeden!

 

Warum funktioniert es bei den Anonymen Spielern? Warum schaffen wir es, oftmals auch vom ersten Meeting an, bei den Anonymen Spielern spielfrei zu werden? Die Sucht dauerhaft zum Stillstand zu bringen?

Die Antwort: Die Anonymen Spieler praktizieren die Gruppenarbeit. Darum funktioniert es, um es einmal einfach ausgedrückt auf den Punkt zu bringen. Wir in den Gruppen sind durch unsere langjährigen Erfahrungen mit der Spielsucht auch zu Praktikern in der Suchtselbsthilfe geworden, keine Theoretiker. Wir müssen uns nichts an-lernen, nichts an-lesen, nichts an-studieren. Wir sprechen über, und vor allem durch unsere Erfahrungen.                 

Eine Erfahrung davon ist der bewusste Übergang vom ersten in den zweiten Schritt. Wie schon erwähnt: Die Hand ausgestreckt, am Boden liegend. Das ist unser Ausgangs-, unser Startpunkt. Wenn wir anfänglich Schwierigkeiten haben, aus welchem Hintergrundrauschen heraus auch immer, anderen Menschen wieder zu vertrauen, dann ist es gut, und wohl auch überlebenswichtig, zuerst einer Höheren Kraft, einer Macht, größer als unser Selbst, zu vertrauen.  Einer Macht, die nicht von menschlichen Schwächen, Bedürfnissen, Hintergedanken, Trieben, Eitelkeiten und persönlichen Hindernissen beeinflusst und bestimmt wird. Eine höhere Macht, die seit Anbeginn der Zeit von den Menschen gesucht wird. Eine Macht, die bereits Tausenden, nein, Millionen und Abermillionen von suchtkranken Menschen auf ihrer Reise der Genesung, auf ihrer Reise in ein neues Leben begegnet ist. Eine höhere Macht, der wir bedingungslos vertrauen dürfen und können. Ohne jegliche Vorbehalte.

 

Der Rucksack – die Last unseres Lebens

 

Wie bereits erwähnt, dachten von uns anfangs viele, am besten wir machen einfach einen großen Bogen um die geistigen Schritte im GA-Programm. Meist haben derlei Reaktionen ihre guten Berechtigungen, deren Wurzelbildung in unserer Vergangenheit liegen. In religiöser Erziehung. In gepredigter Wahrheit und gelebter Lüge. In gepriesenem Wasser und gesoffenem Wein, usw., usf..

Doch wir in den Gruppen brauchen uns gegenseitig keine Märchen mehr zu erzählen. Wir wissen, dass wir mit dem nackten Arsch an der Wand standen, oder nach wie vor noch stehen. Am Rande des Abgrundes, mit dem Blick in eine dunkle, unergründbare und todbringende Tiefe. Dieser unergründlichen und schwarzen Tiefe können wir nur entrinnen, wenn unser Herz sich wieder für Vertrauen öffnet. Anfangs in eine höhere, uns liebende und fürsorgliche Macht, und dann auch wieder den Menschen. Dann, wenn wir lernen zu erkennen, dass nicht alle Menschen etwas Böses mit uns vorhaben, oder nur Schlechtes im Schilde führen.

So begegnen wir uns in den Gruppen. Jeder gezeichnet von seiner eigenen Geschichte. Jeder unterwegs mit seinem eigenen, prall gefüllten Rucksack.

Durch die persönliche Suche und Beziehung zu unserer höheren Macht, durch die Gruppenarbeit, durch die Freundschaften mit Gleichbetroffen, mit Leidensgefährten, Weggefährten, helfen wir uns gegenseitig, den mitgeschleppten Ballast unseres Lebens, Stück für Stück, Erfahrung um Erfahrung, aus unserem Rucksack heraus zu holen, zu betrachten, zu entfernen, am Wegesrand einfach stehen zu lassen und fortan mit immer leichter werdendem Gepäck auf unserer Reise in ein neues, spielfreies, suchtfreies Leben unterwegs zu sein.

 

Die höhere Macht – größer, als wir selbst

 

Um zum Glauben an eine höhere Macht, an unsere persönliche höhere Macht zu kommen, bedarf es keiner großen Lebensanstrengung, bedarf es keiner großen Vorbereitung, keines besonderen, großen, oder gar frommen Gebetes. Es bedarf nur eines ehrlich gesprochenen Satzes, einer ehrlich gesprochenen Bitte, dass diese Macht auch in unser Leben kommen soll, und darf. Es bedarf der Öffnung der Türe in unser Herz. Nicht mehr, und auch nicht weniger.

Doch dann ist sie da. Dann ist sie in unserem Leben, die höhere Macht. Und dann können Wunder geschehen, mit uns als individuelle Person und in unserem Leben. Wunder, die wir sonst immer nur aus den Erzählungen, Büchern und Filmen anderer hören, lesen und sehen, aber nicht glauben wollen, und wohl auch nicht können. Weil wir uns nie wirklich selbst darum bemüht haben, es einfach einmal aufrichtig und ehrlich zu versuchen, mit dem Glauben an eine, an unsere persönliche höhere Macht.

Was kann uns denn schon passieren? Was denn? Außer dem eventuellen Verlust unserer persönlichen Eitelkeit, unseres Stolzes, unseres uns krankmachenden Egos, das uns bisher doch nur, aber wirklich nur geschadet, aber niemals weitergeholfen hat. Das uns mit in die Sucht getrieben und um ein Haar fast zerstört hätte. Sonst wären wir niemals da gelandet, wo wir uns befanden, als wir das erste Mal durch die Türe in ein Meeting der Anonymen Spieler gegangen sind.

Also, noch mal: Was sollte uns denn also wirklich ernsthaft passieren können? Was sollte uns dabei denn Angst machen? Was denn? Nichts. Es gibt überhaupt nichts, was uns passieren könnte. Rein gar nichts.

Wir können in diesem Fall also ausnahmsweise einmal nur gewinnen. Denn dieses Mal wird es wohl auch endlich der Jackpot sein, den viele von uns so lange gejagt haben, denn unser krankes Ego – der wirkliche Feind in uns – wird endlich gesunder Demut weichen müssen.

Annahme, Bereitschaft, Demut. Auf diesen drei Säulen wird unsere zukünftige Nüchternheit stehen. Und Nüchternheit ist etwas anderes als nur Spielfreiheit. Es geht nur mit allen dreien, denn ein-, oder zweibeinige Hocker, können weder selbstständig, noch sicher stehen bleiben.