Die Entstehungsgeschichte der 12 Schritte

Geschichte der 12-Schritte nach Schmidt, Lothar

Das 12-Schritte-Programm wurde Ende der 1930er Jahre von einem Mann namens Bill geschrieben. Bill war trockener Alkoholiker und hat vor dem Beginn der Anonymen Alkoholiker zur sogenannten Oxford-Gruppe gehört.

Rowland, ein hoffnungslos alkoholkranker Mann aus den USA, wurde von seinen wohlhabenden Eltern 1931 zum berühmten C.G. Jung nach Zürich zur Behandlung geschickt. Nach einjähriger Behandlung betrank er sich erneut und wurde wieder bei Jung vorstellig, der eine weitere Behandlung als sinnlos ansah und daher ablehnte. Stattdessen riet er seinem Patienten, sich um eine geistig-seelische Umwandlung zu bemühen, konnte ihm allerdings keine konkreten Hinweise geben, wie Rowland dazu käme.

Zurück in den USA fand er Kontakt zur Oxford-Gruppe, wo er sich als hoffnungsloser Alkoholiker vorstellte. Die Gruppenteilnehmer beteten für ihn, und das Wunder geschah: Rowland war frei und trank nicht mehr.

Shap und Cobra, zwei Saufkumpanen, lernten ebenfalls die Oxford-Gruppe kennen und erzählten ihrem Saufkumpel Ebby davon. Auch Rowland kam zu Ebby und berichtete ihm von seinen eigenen Erfahrungen. Als Ebby volltrunken eine Straftat beging, wurde er festgenommen und vor Gericht gestellt. Die Mitglieder der Oxford-Gruppe verwendeten sich für Ebby und drängten den Richter, die Zwangseinweisung nicht zu vollstrecken, bevor Ebby nicht in der Gruppe gewesen war. Ebby gab in der Oxford-Gruppe zu, hoffnungsloser Alkoholiker zu sein, bekannte seine Sucht und stellte sich ihr. Man betete auch für ihn, und er war frei.

Ebby hatte einen alten Saufkumpel, Bill, der als Börsenmakler in New York arbeitete und aufgrund seiner Alkoholsucht vor dem totalen Ruin stand. Sein letzter Absturz ereignete sich am 11.11.1934. Bill verließ zu diesem Zeitpunkt das Haus nur noch, um seine Alkoholvorräte aufzufüllen. Körperlich baute er stark ab, seiner Frau hatte man mitgeteilt, für ihren Mann gäbe es nur noch zwei Möglichkeiten: Tod oder Wahnsinn. Als Ebby davon hörte, besuchte er ihn.

Bill bemerkte sofort, dass Ebby sich stark verändert hatte, was sich nicht nur in der Ablehnung eines Glases Alkohol zeigte. Auch dass Ebby Bill von seinem Glauben erzählte, war ungewohnt. Doch der Aufforderung Ebbys, sich an Gott zu wenden, stand er zunächst ablehnend gegenüber. Ebby drängte Bill, sich an Gott zu wenden, wie er ihn verstand. Er stellte fest, dass sein Kumpel nüchtern war und aufbaute, während er trank und abbaute. Deswegen wünschte auch Bill Kontakt zur Oxford-Gruppe, wo er sich betrunken einfand und offen von seiner Alkoholabhängigkeit sprach. Die Gruppe betete für ihn und riet ihm, noch einmal ein Krankenhaus aufzusuchen. Dort besuchte ihn Ebby, und Bill, am absoluten Tiefpunkt angekommen, schrie nach Gott, bat ihn, sich zu zeigen. Die Folge war ein Bekehrungserlebnis, bei dem ihm Gott ganz persönlich seine Herrlichkeit offenbarte. Dieses Erlebnis war der Wendepunkt in seinem Leben. Bill trank nie wieder Alkohol.

Ganz beseelt von diesem Erlebnis wollte Bill auch andere Alkoholiker bekehren und begann zu predigen. Doch der Erfolg ließ auf sich warten. Ein Arzt riet ihm, das predigen zu lassen und stattdessen den Alkoholikern seine Lebensgeschichte zu erzählen. Bill folgte dem Rat, doch nur wenige Alkoholiker kamen zur Gruppe und wurden frei.

1935 setzte die Oxford-Gruppe in Akron ein Extrameeting an, weil eines ihrer Mitglieder, ein Dr. Bob, infolge seiner Alkoholabhängigkeit immer mehr abbaute. Dr. Bob und seine Frau waren zwar regelmäßig Teilnehmer der Gruppentreffen, jedoch hatte er es bisher immer vermieden, über sich und seine Sucht zu sprechen. Auf jenem Extrameeting schließlich sprach Dr. Bob offen von seiner Trunksucht. Er bat die Mitglieder, für ihn zu beten, was auch geschah. Kurze Zeit später, und das ist als Gebetserhörung anzusehen, weil es so viele Zufälle gar nicht gibt, trafen Bill und Bob zusammen.

Der 10. Juni 1935, der Tag, an dem Bob sein letztes Glas Alkohol trank, ist der Geburtstag der Anonymen Alkoholiker (AA).

Zwei Jahre später zogen beide bereits Bilanz über die geleistete Arbeit. Etwas mehr als 40 Menschen waren frei geworden. Sie wollten aber Millionen auf der ganzen Welt helfen. Neben dem Entsenden von Missionaren und dem Gründen von Krankenhäusern hatten sie sich vorgenommen, ein Buch zu schreiben, konnten sich aber nicht über die Konzeption einigen.

Sie kamen nicht über die ersten Kapitel hinaus und Bill war schon drauf und dran aufzugeben, als er Gott um Führung bat. Und Gott erhörte ihn. Innerhalb einer Nacht war das Konzept fertig. Bill hatte die 12 Schritte geschrieben.

Im April 1939 erschien das Buch "Alcoholics Anonymous". Nach der Veröffentlichung der 12 Schritte stieg die Zahl trockener Alkoholiker schnell. Heute treffen sich in 150 Ländern über 100 000 Gruppen.

Die ersten AA bedauerten, dass nur die Alkoholiker ein so wirksames Genesungsprogramm (das 12-Schritte-Programm) haben, mit dem sie ihr Leben Stück für Stück aufräumen und den heutigen Tag bewältigen können. Eigentlich, so fanden sie, wäre es ein Programm für Jedermann.

 

Text-Quelle: Geschichte der 12-Schritte nach Schmidt, Lothar: Fahrschule des Lebens; Hilfe zur Selbsthilfe. 2. überarbeitete Auflage, © 2010 by Friedrich Verlagsmedien, Frankfurt am Main, Edition Federkultur.