Komm wieder, es funktioniert

Erfahrungsbericht von Ralf

„Komm wieder, es funktioniert.“ Wenn wir am Schluss eines jeden Meetings nach dem Gelassenheitsspruch uns gegenseitig diesen Satz zusprechen, dann wissen zumindest die Freundinnen und Freunde, die schon einige Zeit dabei sind und in den Gruppen spielfrei wurden, dass es wirklich so ist. Dass das Genesungsprogramm der Anonymen Spieler wirklich funktioniert. 

Unser Genesungsprogramm ist objektiv betrachtet ein eigentlich recht einfaches Programm. Es basiert auf den gemachten Lebenserfahrungen von Suchtkranken und auf spirituellen Prinzipien und Weisheiten, die schon seit jeher in fast allen geistigen Wegen der Menschheitsgeschichte gegründet liegen. Und doch, oder gerade deshalb, erfahre ich bei der Anwendung des 12-Schritte-Programms für mein Leben oft erhebliche Schwierigkeiten, weil mir bei dessen Umsetzung sehr schnell mein wirklicher Feind und wahrer Widersacher begegnet: „Mein Ego.“

Und genauso einfach wie sich unser Programm zur Genesung zusammensetzt, gestaltet sich unser Programm zur Einigkeit. Wir sind nicht organisiert, setzen uns jedoch in vom Gruppengewissen gewählten Dienstausschüssen zusammen, um die Angelegenheiten zu gestalten und umzusetzen, die unsere Gemeinschaft als Ganzes betreffen. Doch jede einzelne Gruppe ist wiederum völlig selbstständig und entscheidet autonom, ob, wie, wo, wann und in welcher Form sie sich bei den Anonymen Spielern als Ganzes einbringt oder beteiligt. Unsere Vertrauensleute sind nur „betraute Diener auf Zeit“, sie „regieren und herrschen nicht“. Alle Dienste bei den Anonymen Spielern rotieren in festgesetzten Zeiträumen. Niemand in der Gruppe, oder bei den Anonymen Spielern als Ganzes, kann jemals einen Absolutheitsanspruch auf irgendetwas in der Gemeinschaft für sich selbst erheben. Am Ende entscheidet immer das Gruppengewissen. Machthungrige Selbstdarsteller und Dienstbesessene werden recht schnell erkannt und in der Regel durch dieses Gruppengewissen gestoppt.

Die Anonymen Spieler haben dazu einige einfache und doch äußerst sinnmachende Leitsätze für sich angenommen und in ihre Dienst- und Gruppenstruktur übernommen, die vieles in sich selbst erklären. Wie z.B.: „Halt es einfach! – Nimm dich nicht so wichtig! – Es funktioniert auch ohne mich! – Bleib bei dir selbst! – Die Gruppe braucht mich nicht, aber ich brauche die Gruppe! – Nur für Heute! – Wir alle sind gleich weit vom nächsten Spiel entfernt, egal wie lange unser letzter Einsatz zurück liegt! – Meetings bringen es! – Schritt für Schritt! – Gehe achtsam mit dir um! – Genesung braucht Zeit! – Tu es selbst, auch wenn’s dir schwerfällt! – Wenn du spielen willst, ist das deine Sache. Unsere ist es damit aufzuhören!“, um nur einige davon zu nennen. 

Es waren am Ende mitunter auch diese einfachen Kern- und Leitsätze, diese transportierten Erfahrungswerte, die mich haben bleiben lassen. In der Einfachheit unseres Genesungsprogramms und unserer Gruppenstrukturen lag und liegt letztendlich auch meine dauerhafte Spielfreiheit begründet. Irgendwo anders wäre ich mit Sicherheit nicht über einen so langen Zeitraum geblieben. Irgendwo anders hätte man mich in meiner ganzen emotionalen und geistigen Verwirrtheit vermutlich wieder zum Teufel gejagt. In den Gruppen durfte ich mit all meinen Schwierigkeiten, Mängeln und Charakterfehlern bleiben, die ich außer meinem vordergründig bestehendem Spielproblem noch in ausreichender Form mitgebracht hatte. Ich durfte hier den Platz finden, wo ich mit all meinen Unzulänglichkeiten einfach angenommen wurde. Endlich brauchte ich mich nicht mehr zu verstellen, musste nicht mehr lügen und betrügen, vertuschen und verschleiern. Die Menschen, die mit mir bei diesen Gruppentreffen saßen, sprachen die gleiche Sprache wie ich. Sie alle hatten gleiche, oder ähnliche Erfahrungen gemacht. Egal, ob mit, oder ohne das Spielen. Endlich wurde ich nicht mehr verurteilt, sondern verstanden. Das dunkle Nichts in mir, musste nun zwangsläufig für etwas Helles weichen, das langsam, zuerst nur durch einen kleinen Spalt, in mich hineinstrahlte. Ich konnte es anfangs noch nicht richtig greifen, erfassen und beschreiben, doch der Raum für wirkliche Hoffnung wurde in mir vorbereitet und geschaffen.

Wenn ich an die Hoffnung denke, dann muss ich an das Zitat aus dem bekannten Film-Klassiker „Die Verurteilten“ denken: „Hoffnung ist eine gute Sache. Vielleicht sogar die Beste. Und gute Dinge können nicht sterben.“

Zitat aus dem US-Spielfilm-Drama "Die Verurteilten" von 1994; Regie: Frank Darabont, mit Tim Robbins und Morgan Freeman in den Hauptrollen

Ja, gute Dinge können nicht sterben. Am Ende wird das Gute immer siegen. 

Durch die wachsende Hoffnung in mir, begann sich langsam das Gute gegen das, ich will nicht sagen das Böse, aber gegen das Schlechte durchzusetzen. Aus den Erfahrungs- und Lebensberichten der Freunde konnte ich heraushören, dass ein Leben ohne Spielen wieder möglich ist. Ich begann endlich daran zu glauben, dass auch ich es schaffen kann, egal wie tief ich auch durch diese Sucht gefallen und gesunken war. Zum ersten Mal überhaupt in meinem Leben, begann ich an mich selbst zu glauben. Und dieser Glaube an mich selbst, machte mich offen für den Glauben an eine Macht größer als ich selbst. Ich hatte nach dem Ersten, nun auch den Zweiten Schritt des Genesungsprogramms gemacht.

Ich hatte erkannt, dass dieser Glaube an mich, nicht aus mir selbst heraus entstanden und gewachsen ist. Gott war nun auf einmal ein Thema in meinem Leben. Der „Glaube, der Berge versetzen kann“, begann in meinem Leben fassbare Gestalt anzunehmen.  Wenn ich auch nicht wusste, wer oder was diese Höhere Macht wirklich ist, so spürte ich doch, dass sie in meinem Leben wirkt und bewirkt, wenn ich mich auf sie einlasse.

Ja, es war ein riesiger Berg, den ich mit der Hilfe meines Gottes, so wie ich ihn verstand, ins Meer versenken durfte. Den Trümmerberg meines Lebens, den ich als suchtkranker Spieler und Alkoholiker in 17 Jahren aufgeschichtet hatte. Zwar nicht auf einmal, aber Stück für Stück. In kleinen Schritten konnte ich nun endlich beginnen, diesen riesigen Berg abzutragen und abzuarbeiten. Ohne Glauben hätte ich es nicht gekonnt. Ich glaube, das ist es auch, was diese nicht real greifbare Höhere Macht mir sagen will. Zumindest mir persönlich. Im Glauben und Vertrauen auf Gott, kann ich all das bewältigen, was mir zuvor unmöglich erschien. Und alles, was ich damals, außer mich selbst, zu Anonymen Spielern mitbringen musste, war nur der Wunsch, dieses krank- und kaputtmachende Leben nicht mehr leben zu wollen.

Heute bin ich seit beinahe 30 Jahren spielfrei und genauso lange trocken vom Alkohol. "Komm wieder, es funktioniert!" 

Seit 30 Jahren höre ich mindestens einmal die Woche diesen Satz, diese entscheidende Botschaft, die mich am Ende frei gemacht hat vom krankhaften und zwanghaften Spielen.

Es stimmt. Es hat sich bewahrheitet. Es funktioniert.

 

Gute 24 Stunden,

Ralf